Das Wichtigste zuerst: Wir bereuen diese Reise nicht. Auch wenn sie zu einigen Zeitpunkten extrem anstrengend, nervenaufreibend, mit sehr, sehr viel Aufwand verbunden war und uns manchmal auch zwischenmenschlich gefordert hat, wenn wir bei Kälte und Regen im engen Camper gehockt haben. Aber die Erlebnisse dieses Jahres kann uns keiner mehr nehmen. Uns erfüllt auch mit Stolz, dass wir unser Vorhaben konsequent umgesetzt haben und auch alles ohne größere Blessuren überstanden haben. So viele Leute haben wir in Neuseeland nicht getroffen, die ähnliches gemacht haben.
Die aus meiner Sicht zweitwichtigste Erkenntnis, die ich schon nach 2, 3 Monaten Reisezeit gewonnen hatte: Neuseeland ist das mit Abstand am meisten überschätzte Reiseland. Moni konnte dem am Anfang nicht so richtig folgen, aber mittlerweile teilt sie meine Meinung. Diese Einschätzung ist ganz persönlich und hat viele Facetten. Sehr, sehr viele der durchaus sehenswerten Naturspektakel kann man auch in Europa oder in anderen Ländern in ähnlicher Form bewundern und braucht dafür nicht um die halbe Welt jetten. Vielleicht nicht so nahe beieinander, aber die Alpen, die Pyrenäen oder Island und Skandinavien brauchen sich nicht verstecken, im Gegenteil. Wobei das ja nur ein paar willkürlich herausgegriffene Länder oder Landschaften sind. So ist “nett” im Laufe der Zeit unser Lieblingswort geworden, um die Reisehöhepunkte zu beschreiben.
An vielen, vielen Stellen in Neuseeland merkt man, dass die europäisch geprägte Geschichte erst Anfang des 19. Jahrhunderts beginnt. Die Klein- und Kleinststädte sind nahezu austauschbar, auch wenn sie versuchen, sich voneinander abzuheben. Klassische Dörfer wie in Europa oder anderswo gibt es kaum, meistens sind es einzelne Farmen. Die wenigen größeren Städte wie Auckland, Christchurch und Wellington sind nett, aber nicht unbedingt spektakulär. Solche Städte wie Paris, Rom, Prag, Athen oder Lissabon – um nur einige Stichworte zu nennen – sucht man vergebens. Von einem Reise-Gefühl wie in Asien, z.B. in Indien, Vietnam oder unserer letzten großen Reise nach Japan ganz zu schweigen. Was schon eine Überleitung zum nächsten Thema ist: essen und trinken.
Neuseeland hat keine großen kulinarischen Traditionen. Überwiegend gibt es Fast-Food in allen Varianten und die Schließung von McDonalds, Subway und ähnlichen Ketten während des Lock-Downs war wahrscheinlich eine der größten Strafen für die Neuseeländer. Ansonsten ist die Restaurant-Küche vom englischen und amerikanischen Einfluss geprägt: fish & chips oder spare ribs gehen immer. Wobei beides wirklich gut schmeckt, wenn sie gut zubereitet sind (selten). Mittlerweile gibt es eine Unzahl von asiatischen Imbissbuden und kleinen Restaurants, wobei die sich leider dem neuseeländischen Geschmack angepasst haben. Was uns als Highlights im Gedächtnis geblieben sind, waren die großartig schmeckenden Austern in Bluff und der Mutton Bird, den ich selbst zubereitet hatte. Auch das selbst gemachte Hangi im Natur-Dampfofen war ein sehr schönes Erlebnis.
Großer Lichtblick in der kulinarischen Diaspora ist die Craft Beer Szene. Hier ist man als Bierliebhaber im 7. Himmel. Da kann sich Deutschland eine große Scheibe abschneiden.
Natürlich muss man bei unserer Einschätzung berücksichtigen, dass wir die ganzen Action-Angebote, die es im Überfluss gibt, wie z.B. Bungee Jumping, nicht genutzt haben. Hier können sich junge Leute richtig austoben. In Neuseeland findet man alles und was es auf dem Gebiet noch nicht gibt, hat große Chancen hier erfunden zu werden. Ein bisschen ähnlich ist es mit den vielen spektakulären Mehr-Tages-Wanderungen, die wir auch nicht gemacht haben, bzw. nicht mehr so machen können und wollen. Vielleicht hätten wir noch einmal darüber nachgedacht, wenn das Wetter mitgespielt hätte. Das ist der nächste wichtige Punkt.
Das Wetter war insgesamt viel kälter und regnerischer, als wir uns das vorgestellt hatten. Selbst als wir im Dezember eingereist sind und es die reichlich 2 Monate bis zum CORONA-Lock-Down Hoch-Sommer war, war es trotzdem oft relativ kalt und auf der Südinsel, insbesondere an der Westküste, sehr regnerisch. Unsere ursprüngliche Vorstellung, dass das Leben früh und abends überwiegend draußen stattfindet, blieb eine Illusion. Wie oft wir die Sonnenmarkise genutzt haben, lässt sich an einer Hand abzählen. Da hat das Campen oft keinen Spaß gemacht. Letztlich kann man nur empfehlen, zwischen Dezember und Ende Februar zu reisen, auch wenn um die Jahreswende die Neuseeländer Ferien haben und gefühlt alle in die Natur ausschwärmen.
Mit der Maori-Kultur und mit den Maori selbst sind wir nicht so richtig warm geworden. Zu Beginn unserer Reise haben wir auf solche Gelegenheiten noch nicht weiter geachtet, dann kam der 8 Wochen Lock-Down dazwischen und danach gab es kaum noch solche Gelegenheiten, mal punktuell in diese Kultur einzutauchen. Vieles war geschlossen, entweder weil die Touristen fehlten, es Wintersaison war oder weil die Maori Angst hatten, sich mit dem von den Touristen eingeschleppten Virus anzustecken. Da wurden schon mal ganze Gemeinden für Durchreisende gesperrt. Insgesamt erschien uns das Verhältnis zwischen Maori und europäischen Nachfahren relativ gespannt, auch wenn offiziell natürlich eine andere Politik vertreten wird.
Zu einer realistischen Einschätzung gehört auch, dass sich abseits der Hochglanzprospekte über die grandiose Natur viele Problem verbergen. Manches fällt einem selbst auf, manches haben wir nur durch Zeitungs-, Internet- oder Radioberichte wahrgenommen. So ist z.B. die Wasserqualität der Flüsse und Bäche sehr schlecht. Ursache sind vor allem die intensive Viehhaltung und der zunehmende Einsatz von nitrat- oder phosphathaltigen Düngemitteln. Zwischen 40…60% der Flüsse sind nicht zum Baden geeignet (Quelle:DOC) und ¾ der Süßwasser-Fische sind stark gefährdet.
In der Großstädten, insbesondere in Auckland, wird das Trinkwasser immer knapper, während gleichzeitig durch kaputte Leitungen Milliarden von Litern Wasser versickern. In Wellington sollen fast 35% der Wasserleitungen in schlechtem Zustand sein. Auch Wasserzähler sind nicht zwingend üblich, viele zahlen unabhängig vom Verbrauch nur Pauschalbeträge. Das reizt nicht gerade zum Wassersparen.
Auch die Stichworte Kinderarmut und Gewalt in Familien sind uns immer wieder begegnet. Wobei die Kinderarmut besonders bei den Maori und den pazifischen Einwanderern ausgeprägt ist.
Nun aber noch einmal zu Dingen die uns gut gefallen haben. Dazu zählen die sehr interessanten Pflanzen, die wir in den Nationalparks bzw. in den Gebieten, in denen es noch richtigen Ur-Wald gibt, bewundert haben. Insbesondere die noch ursprünglichen (Regen-) Wälder sind sehr schön und wir haben die Wanderungen auf geradezu mystischen Wegen oft genossen. Hinzu kommt die Liebe der Neuseeländer zu ihren Gärten, in denen es gerade im Frühjahr überall blüht. Die Tierwelt ist nicht so vielfältig wie in Europa oder gar in Afrika oder Asien, aber es war immer wieder interessant, die vielen verschiedenen Vögel zu beobachten und auch zu hören.
Zu den positiven Dingen für uns als Touristen gehören auch die sehr guten, fast immer sehr sauberen und überall zu findenden öffentlichen Toiletten. Meistens sind sie außen auch noch interessant gestaltet. Hier könnte sich Deutschland eine Menge abgucken. Der Uhrenturm und die öffentlichen Toiletten waren meistens die Höhepunkte in den kleinen Orten, die sich ansonsten sehr ähnelten.
Leider war/ist die Sprach-Barriere für uns nach wie vor hoch, so dass es kaum intensivere Kontakte mit Neuseeländern gab. Meistens beschränkte es sich auf die Kommunikation auf den Campingplätzen, in Restaurants oder beim Shopping. Aber bei allen Problemen oder Fragen, z.B. mit dem Auto, waren die Neuseeländer sehr aufgeschlossen und hilfsbereit. Und fast jeder kennt einen, der schon mal in Deutschland war oder sie waren selbst schon einmal da. Wir haben auch eine ganze Menge Deutsche getroffen, die hier ihre neue Heimat gefunden haben. Das waren sowohl junge Leute als auch ältere Leute, die bereits vor 10, 20 oder 30 Jahren Deutschland verlassen haben.
Zum Schluss noch ein paar Statistiken.
Statistiken
- Reise-Zeitraum: 06.12.2019 bis 27.11.2020 = 357 Tage
- Kilometer 22.143
- davon Nordinsel 14.722
- davon Südinsel 7.929
- Kosten für Diesel: ca. 2.000€
- Zeltplätze: 154 (davon einige doppelt)
- Quartiere (AirBnB/Motel): 70 Tage ohne Lock Down, 119 Tage mit Lock Down, d.h. fast 1/3 des Aufenthaltes
Hallo Herr Rämisch,
ich habe regelmäßig und sehr intensiv ihre Blogbeiträge gelesen und fühlte mich so, als ob ich dabei gewesen wäre. Ihr Fazit liest sich etwas nüchtern und regt zum Nachdenken an. Wie sie ja wissen, reisen meine Frau und ich auch gerne, was aber zur Zeit fast unmöglich ist. In diesem (Corona) Jahr sind wir auf Grund der Einschränkungen nicht weggekommen und haben nur einen Urlaub in MekPom unternommen. Momentan geht mal wieder gar nichts. Unseren geplanten Skiurlaub für Jan können wir wahrscheinlich auch vergessen. Abschiedsfeiern, Restaurantbesuche, Familienfeiern und sogar Meetings am Arbeitsplatz waren und/oder sind weiterhin verboten. Also hier in Good old Germany ist es im Moment auch nicht sehr prickelnd. Also machen Sie und Ihre Frau sich noch ein paar schöne und erlebnisreiche Tage in Australien. Ich bin gespannt, was Sie von dort zu berichten haben. Ich wünsche Ihnen und ihrer Frau viel Spaß und bleiben sie gesund.
LG W. K.
Vielen Dank für die Rückmeldung. Wenn ich ein paar Erfahrungen vermitteln konnte, bin ich zufrieden.
Ansonsten können wir unser Glück noch gar nicht so richtig fassen, in diesen Zeiten – wie es in Deutschland aussieht haben Sie ja beschrieben – weiter reisen zu können. Nun haben wir 12 Monate Zeit für Australien und hoffentlich hat sich Ende 2021 die Lage insgesamt verbessert. Natürlich auch in Deutschland. Alles Gute für Sie und Ihre Familie !
Viele Grüße
Hannes Rämisch
PS: In dem Fazit hatte ich nicht erwähnt, dass wir unsere 16 kg Tauchgepäck 1 Jahr lang umsonst herumgefahren haben… Ich hoffe, das wird jetzt in Australien besser.
Ich hatte es mir schon gedacht und bin gespannt auf Ihre Taucherfahrung in Australien. 😉👍🤓
Hallo Hannes,
ich freue mich für Euch, dass es nun endlich weitergeht. Hab Euer Jahr immer mal wieder verfolgt und auch mitgelitten. Und meine Hochachtung für die ständigen Berichte und Bilder aus der Ferne habt Ihr sicher! Vieles aus Deinem Fazit kann ich bestätigen, wenn auch nicht alles. Naja, meine Reise war 2004 und auch nur über 4 Wochen… Fühlte mich aber bei einigen Sachen auch gut erinnert. Mein Reisejahr 2020 war auch etwas anders als geplant, aber die Mala Fatra, Ostkreta und das Schwarzatal sind auch sehr schön. Jetzt muss ich nur noch vier Tage Resturlaub verbraten und darf mich nicht mehr als 15 km von meinem Zuhause entfernen. Natürlich hoffe ich deshalb auf mehr Normalität in 2021, um etwas von den geplanten Reisen aus diesem Jahr nachholen zu können. Und in 14 Monaten will ich mein Sabbatical dann auch in Australien beginnen.
Ich wünsche Euch eine schöne (Vor-)Weihnachtszeit und für 2021 viele schöne Erlebnisse unter normaleren Bedingungen. Aber trotzdem: Auch dieses Jahr kann Euch keiner nehmen!
Herzliche Grüße aus Dresden
Thomas
Hallo Thomas,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Bzgl. der Eindrücke, die man während des Urlaubes sammelt, ändert sich die Einschätzung schon mit der Länge der Zeit. Die gleichen wunderschönen grünen Grashügel, auf denen malerisch die weißen Schafe grasen, werden im Herbst/Winter bei Nebel, Kälte und Regen grau und hässlich, vor allem wenn man dann stundenlang durch die – gefühlt – immer gleiche Landschaft fährt. Auch wir haben uns ja bei unseren Urlauben vorher die perfekte Reisezeit und die Höhepunkte jedes Landes ausgesucht, um die kurze Zeit zu nutzen.
Deine Reiseziele für 2020 waren aber bestimmt auch interessant. Kreta hatte uns auch vor vielen Jahren beeindruckt. Ich drücke Dir die Daumen, dass es mit dem nächsten Sabbatical klappt. Bis dahin können wir vielleicht schon ein nächstes Fazit für Deine Reisevorbereitungen beitragen.
Tschüß aus Sydney
Hannes